Am nächsten Tag sah die Menge, die am anderen Ufer des Sees geblieben war, dass nur noch ein Boot dort lag, und sie erfuhren, dass Jesus nicht mit seinen Jüngern ins Boot gestiegen war, sondern dass die Jünger allein abgefahren waren.
Von Tiberias her kamen andere Boote in die Nähe des Ortes, wo sie nach dem Dankgebet des Herrn das Brot gegessen hatten. Als die Leute sahen, dass weder Jesus noch seine Jünger dort waren, stiegen sie in die Boote, fuhren nach Kafarnaum und suchten Jesus. Als sie ihn am anderen Ufer des Sees fanden, fragten sie ihn: Rabbi, wann bist du hierher gekommen? (Joh 6,22-25)
Am Tag zuvor haben die Menschen die Erfahrung gemacht, dass Jesus sie auf wunderbare Weise satt gemacht hat. Sie wollten Jesus zum "König" machen, doch dann war er weg. Die Menschen blieben allein zurück, einige werden nach Hause gegangen sein, aber viele suchen am anderen Morgen nach Jesus. Er ist nicht zu finden. Was die Menge nicht weiß: Jesus hat vor den Augen seiner Jünger ein weiteres Wunder vollbracht. Er ist über das Wasser gelaufen und hat die Jünger, die schon mit dem Boot über den See voraus gefahren sind, eingeholt.
Schließlich spricht sich herum, dass Jesus am anderen Ufer des Sees in Kafarnaum ist und die Menge setzt sich über den See dorthin in Bewegung. Sie wundern sich, wie Jesus dorthin kommen konnte. Ihre Frage danach, wann und wie er dorthin gekommen ist, lässt Jesus aber unbeantwortet. Und doch sind seine Worte eine Antwort auf ihre Frage. Die Worte Jesu können etwa folgende Bedeutung haben: Schaut nicht nur auf das, was euch vor Augen steht, blickt tiefer, erkennt das Wesen der Dinge, damit ihr verstehen könnt. Wie mein Weg nach Kafarnaum im Verborgenen geschehen ist, so ist auch die Bedeutung des Speisungswunders eine Verborgene, die nur der erkennt, der bereit ist, seinen Blick zu schärfen für das, was Gott wirkt.
Jesus antwortete ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird. Denn ihn hat Gott, der Vater, mit seinem Siegel beglaubigt.
Da fragten sie ihn: Was müssen wir tun, um die Werke Gottes zu vollbringen?
Jesus antwortete ihnen: Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat. (Joh 6,26-29)
Jesus erkennt, dass die Menschen nicht tiefer blicken wollen. Sie sind satt geworden, das genügt ihnen.
Sie suchen im Messias und so in dem Gott, der ihn sendet, letztlich den Versorger. Sie brauchen Gott - für die eigenen Bedürfnisse. Den, der Brot spendet, nehmen sie an. Den, der selber Brot ist, lehnen sie ab. Der Mensch macht sich ein geschnitztes Bild vom Heil, statt sich unmittelbar dem auszusetzen, von dem er allein sein und leben kann: Versorgung statt Beziehung, damit aber Entgöttlichung Gottes. (Klaus Hemmerle)
Sie fragen nach den Werken. Was müssen wir tun? Die Gesetzeslehrer kennen hunderte Vorschriften, die das Tun des Menschen genau regeln, damit er durch sein Tun heilig lebt. Das Volk Israel hat die Tora als Weisung Gottes. Die Tora ist der Schatz Israels. Doch es genügt nicht, sie nur dem Wortlaut nach zu befolgen. Glaube, das geht tiefer. Glaube, das bedeutet, nicht nur fromme Dinge tun, sondern in seinem Herzen zu erfassen, dass Gott ist, dass Gott da ist, dass Gott mit den Menschen ist, dass er mitten unter den Menschen ist, dass Gott da ist im hier und jetzt in diesem Menschen Jesus Christus.
Sie entgegneten ihm: Welches Zeichen tust du, damit wir es sehen und dir glauben? Was tust du? Unsere Väter haben das Manna in der Wüste gegessen, wie es in der Schrift heißt: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.
Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben.
Da baten sie ihn: Herr, gib uns immer dieses Brot!
Jesus antwortete ihnen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. (Joh 6,30-35)
Die Menschen wollen ein Zeichen sehen, das ihnen die Gewissheit gibt, dass Jesus wirklich das Recht hat, diesen Glauben zu fordern. Beim Auszug aus Ägypten hat Mose dem Volk Israel das Manna geschenkt, Brot vom Himmel, das dem Volk auf seinem Weg durch die Wüste Nahrung bot. Gott selbst hat das wandernde Israel mit himmlischem Brot genährt. Wenn der Messias kommt, der Prophet, den Mose selbst vorhergesagt hat, dann wird er noch Größeres tun als Mose, so glaubten die Menschen damals. Heißt das nun, dass der Messias mehr Menschen speisen wird als Mose, dass er für ein Volk, in dem viele an Hunger und unter der Mühsal des täglichen Broterwerbs leiden, eine Gabe anbietet, die für alle und für immer den Hunger stillt?
Die Menschen damals und auch wir heute tun uns schwer damit zu verstehen, dass Jesus, in dem sich die Verheißungen des Alten Bundes erfüllen, nicht nur ein quantitatives, sondern ein qualitatives Mehr auszeichnet. Nicht allein dass Jesus durch die wunderbare Brotvermehrung so viele Menschen satt gemacht hat ist von Bedeutung. Entscheidend ist, dass Jesus nicht nur Brot gibt, sondern dass er selbst das Brot des Lebens ist.
Der Glaube an Jesus bietet nicht ein irdisches Paradies, in dem Menschen keine Not und keinen Hunger mehr zu leiden haben. Freilich, Jesus sorgt sich auch darum und heilt die Menschen, die zu ihm kommen und macht sie satt. Doch er will noch viel mehr geben: Die Speise, die nicht verdirbt und nach deren Genuss der Mensch nicht wieder Hunger bekommt, die Speise, die allein die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben stillt.
Die Sehnsucht des Herzens können keine Gaben aus zweiter Hand stillen. Die Sehnsucht des Herzens kann nur der stillen, der die Herzen geschaffen hat: Gott. Und so gibt sich Jesus selbst als Brot, das unseren Lebenshunger stillt. Wir finden die Erfüllung unseres Lebens, wenn wir es leben mit Jesus Christus.
Aber ich habe euch gesagt: Ihr habt gesehen und doch glaubt ihr nicht. Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen; denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. Es ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am Letzten Tag. Denn es ist der Wille meines Vaters, dass alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, das ewige Leben haben und dass ich sie auferwecke am Letzten Tag.
Da murrten die Juden gegen ihn, weil er gesagt hatte: Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Und sie sagten: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen? (Joh 6,36-42)
Wir sind immer noch im Evangelium mitten in der Rede über das Himmelsbrot, die Jesus am Tag nach der wunderbaren Speisung des Volkes in der Synagoge von Kafarnaum gehalten hat. Die Leute murren gegen Jesus und wollen Zeichen sehen, die es rechtfertigen, dass er mit dem Anspruch auftritt, der Sohn Gottes zu sein.
Es ist typisch für Johannes, dass in den langen Reden Jesu, die er in seinem Evangelium überliefert, ein Thema immer wieder von unterschiedlichen Seiten beleuchtet wird. Wenn wir das heutige Evangelium hören, so werden wir thematisch nicht viel Neues gegenüber dem vom letzten Sonntag finden. Jesus wiederholt nur noch einmal eindrücklich das, was er bereits gesagt hat. Die Reden Jesu bei Johannes sind eine große Meditation, die uns wie über eine Spirale immer tiefer zum Kern der Worte Jesu hinführen.
Das Zeichen Jesu war für die Juden noch kein ausreichender Beleg dafür, dass er der Messias ist. Wer 5000 Männer satt macht, tut noch kein größeres Zeichen als Mose, der das ganze Volk Israel in der Wüste gesättigt hat. Die Menschen messen irdisch nach Zahl und Größe und sind nicht in der Lage, den substantiellen Sprung von der quantitativen zur qualitativen Verschiedenheit Jesu zu leisten. Sie sehen in ihm nur einen mehr oder weniger großen Menschen und nicht den Sohn Gottes, der er in Wahrheit ist.
Der Messias wird auch einer sein, dessen Herkunft unbekannt ist, so weiß es die jüdische Tradition. Doch von Jesus weiß die Menge, dass er der Sohn Josefs ist. Wie kann der Sohn Josefs und Mariens, der Bekannte von nebenan, von sich behaupten, dass er vom Himmel herabgekommen ist? Auch darin erkennen wir ein Argument gegen das Christentum, mit dem sich alle Christen, von den ersten Jüngern bis zu uns heute, auseinanderzusetzen haben. Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes im Schoße einer Jungfrau bleibt nach allein menschlichen Maßstäben unergründlich.
Irgendwie können wir die Zuhörer Jesu schon verstehen - und sind wir nicht manchmal selbst wie sie? Wenn einer mit großen Zeichen und spektakulären Wundern auftritt, ja dann staunen die Menschen. Aber die Unscheinbarkeit, mit der Jesus auftritt, ist das die Weise, wie das Reich Gottes einbricht in diese Welt? Trauen wir Gott überhaupt noch zu, dass er in dieser Welt seine Wunder wirkt, auch noch heute? Wunder, die nicht unseren eigenen Wünschen entgegenkommen und so sind, wie wir es gerne hätten, sondern die Gottes Herrlichkeit offenbaren, so wie er es will? Jesus sagt: